NICHT ANDEREN IHR GLÜCK AUFZWINGEN WOLLEN

 

Feldkirch, am 30. August 2008

Die Freiheit und ihre Grenze

Gewalt gegen Menschen, oder Eingriffe in deren Freiheit wurden immer schon damit gerechtfertigt, dass dies zu ihrem Glück erforderlich sei - und den Menschen so das Wichtigste genommen, die Möglichkeit der eigenen Existenz dadurch Sinn und damit Glück zu geben, dass sie Verantwortung für Andere, oder Anderes tragen. Denn der Freiheit des Einen soll allein dieselbe Freiheit des Anderen, auch künftiger Generationen, Grenzen setzen.

Immanuel Kant definiert diese Grenze der Jedem zustehenden Freiheit: "Niemand kann mich zwingen, auf seine Art (wie er sich das Wohlsein anderer Menschen denkt) glücklich zu sein, sondern ein jeder darf seine Glückseligkeit auf dem Wege suchen, welcher ihm selbst gut dünkt, wenn er nur der Freiheit Anderer, einem gleichem Zwecke nachzustreben … nicht Abbruch tut“ .

In seiner Denkschrift „ Von der Freyheith eines Christenmenschen “ definiert Martin Luther 1520 diese Freiheitsgrenze: „…in Christus sind alle Menschen frei, aber diese Freiheit ist durch die Liebe bzw. die Verantwortung für den Mitmenschen gebunden…“. Deutlicher wird Luther mit einem scheinbaren Widerspruch: "Einerseits: Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Andererseits: Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan."

Es ist Viktor Frankl, der diesen Widerspruch verständlicher macht: Sinn und damit Glück bringt nur das Aufgehen der eigenen Person in Menschen und Aufgaben. Glück braucht die Freiheit Verantwortung tragen und sein Sein so selbst aus der eigenen Sicht sinnvoll machen zu können.

 

Überschreiten der Freiheitsgrenze

Unter dem Vorwand Anderen Glück bringen zu wollen, dehnen aber die Einen ihre Freiheit über ihre Grenze auf Kosten der Freiheit der Anderen aus, ohne dabei selbst glücklicher zu werden. Wobei sie die individuelle Freiheit der Menschen wesentlich wirksamer dadurch einschränken, dass sie dies nicht direkt tun, sondern indirekt über die Einschränkung der kollektiven Freiheit des Landes, in dem die Menschen leben. Denn frei können Menschen nur in einem freien Land sein!

Dies dokumentiert die „Unabhängigkeitserklärung“ der USA von 1776 (beschlossen im Kongress am 4. Juli und jedes Jahr gefeiert): „ … Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle Menschen gleich erschaffen worden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit. Dass zur Versicherung dieser Rechte Regierungen unter den Menschen eingeführt worden sind, welche ihre gerechte Gewalt von der Einwilligung der Regierten herleiten; dass sobald eine Regierungsform diesen Endzwecken verderblich wird, es das Recht des Volkes ist sie zu verändern oder abzuschaffen, und eine neue Regierung einzusetzen, die auf solche Grundsätze gegründet, und deren Macht und Gewalt solchergestalt gebildet wird, als ihnen zur Erhaltung ihrer Sicherheit und Glückseligkeit am schicklichsten zu seyn dünket.. .“.  

Im Gegensatz zu ihrer eigenen „Geburtsurkunde“ sind es aber vor allem die USA, die ihre Freiheit konsequent auf Kosten anderer Länder und deren Bür ger ausdehnen. Mit allen, auch gewalttätigen Mitteln greifen sie in die Freiheit anderer Länder und deren Bürger ein, vorgeblich um ihnen mit messianischen Eifer Glück durch Menschenrechte, Demokratie und Wirtschaftsfreiheiten zu bringen, in Wirklichkeit aber nur, um ihren eigenen Interessen, insbesondere den Interessen ihrer reichen Oberschicht zu dienen.

Der Marktfundamentalismus der „Vier Grundfreiheiten“

Dabei operieren sie mit einen Marktfundamentalismus, der keine moralische Grenze der Freiheit des Einen an der Nahtstelle zur selben Freiheit des Anderen kennt und berufen sich zu Unrecht auf Adam Smith. In seinem bekanntesten Werk, „Der Wohlstand der Nationen“ schreibt es Smith bekanntlich einer „Unsichtbaren Hand“ zu, dass es im allgemeinen Interesse sei, wenn jeder allein seine eigenen Interessen verfolge.

Die Voraussetzungen, die Smith dafür angibt, die gegenseitige Kontrolle der Egoisten, gelten in der heutigen Wirtschaft aber nicht. Denn der Marktfundamentalismus verherrlicht den Konkurrenzkampf Jedes gegen Jeden. Dieser zwinge angeblich Alle zu Höchstleistungen, an denen wieder Alle gewinnen. Tatsächlich gewinnen aber nicht Alle, sondern nur jene mit den besseren Startvoraussetzungen auf Kosten der von vorneherein Unterlegenen. Es gewinnen die Rücksichtslosen auf Kosten der Verantwortungsvollen.

Das Rückrat dieses Marktfundamentalismus ist die internationale Arbeitsteilung durch die sogenannten „Vier Grundfreiheiten“ des Verkehrs von Waren, Dienstleistungen, Kapital und der Niederlassung. Vor allem wegen der Verbindung der Kapitalsverkehrsfreiheit mit den anderen Grundfreiheiten bringen diese aber nicht Allen komparative oder relative Kostenvorteile, wie sie das vorgeben und wie dies überall an den Universitäten gelehrt wird. Die Grundfreiheiten bringen nur den Finanzstärkeren absolute Kostenvorteile zu Lasten der Schwächeren.

Oberstes Bestreben wird es mit investiertem Geld kurzfristig möglichst hohe Gewinne zu machen. Alle Welt soll mit diesem materialistischen Prinzip beglückt werden - um an ihr möglichst viel zu verdienen. Die Souveränität von Nationen mit Ausnahme einiger, wie der USA, die demokratische Selbstbestimmung ihrer Bürger, die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen, all das soll einem „Globalen Dorf“ und einer „Globalen Betriebswirtschaft“ weichen, die dem egoistischen Gewinnstreben freien Raum lassen.

 

Die Europäische Union als Motor der Globalisierung

Wobei die Europäische Union nicht als Schutz gegen diese Globalisierung dient, sondern als Instrument ihrer Durchsetzung - bilden doch die „Vier Grundfreiheiten“ den Kern ihrer Verträge. In dem Bestreben möglichst viele Länder den „Grundfreiheiten“ zu unterwerfen wuchs die Union auf inzwischen 27 Mitglieder. Weil es aber so viele sind, können Entscheidungen laut dem neuen Vertrag von Lissabon praktisch nur mehr mehrstimmig (mit „Doppelter Mehrheit“) und nicht mehr einstimmig getroffen werden. Damit können den Bevölkerungen Entscheidungen auch gegen ihren einstimmigen Willen aufgezwungen werden, sozusagen zu ihrem Glück.

Auch kann der Lissabon-Vertrag ohne die Zustimmung ihrer Bevölkerungen in Volksabstimmungen eingeführt und auch ohne ihre Zustimmung verändert werden, ganz analog zum Ermächtigungsgesetz des Deutschen Reiches von 1. April 1937, der rechtlichen Grundlage der Herrschaft des Nationalsozialismus. Auch dies sozusagen zu ihrem Glück.

Dass man dabei auf die Möglichkeit einer „Bürgerinitiative“ im Vertrag stolz ist, dass wortwörtlich: „… eine Million Bürger einer erheblichen Anzahl von EU-Mitgliedsländern die Kommission auffordern darf, geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten …“, zeigt wie bedeutungslos inzwischen die Menschen und die ihre Freiheit sichernde Demokratie geworden sind.

Laut der schon zitierten Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung sollen Regierungen dagegen allein zur Absicherung der Grundrechte ihrer Bürger, wie Leben, Freiheit und Streben nach Glückseligkeit eingerichtet werden. Regierungen, die ihre gerechte Gewalt allein von der Einwilligung der Regierten herleiten und daher auch abgewählt und durch geeignetere ersetzt werden können.

Voraussetzungen einer demokratischen Europäischen Union  

In der Europäischen Union darf ein Nachfolgevertrag für den Vertrag von Nizza danach nur für Bevölkerungen gelten, die ihm nach einer ausführlichen öffentlichen, chancengleichen Erörterung aller Für und Wider direkt demokratisch zustimmen. Wobei es überhaupt ein Fehler ist, 27 Länder mit ihren unterschiedlichen Geschichten, Traditionen, Kulturen, geographischen Gegebenheiten und Rechtssystemen einem für alle gleichen einheitlichen Vertrag unterwerfen zu wollen. Denn kaum alle Länder würden ihm in fairen Volksabstimmungen zustimmen. Gerade deswegen wird ja versucht den Lissabon-Vertrag ohne, durch unfaire, oder durch Wiederholung von Volksabstimmungen durch zu zwingen.

Wenn aber nur ein Teil der EU-Mitgliedsstaaten dem Lissabon-Vertrag auf   faire Weise zustimmt, hätte sich bereits ein neoliberal-militaristischer Kern gebildet. Bereits jetzt spricht man von einem Europa der zwei Geschwindigkeiten, einem mit und einem ohne Euro bzw. mit und ohne Schengenraum etc. Warum soll es aber nur zwei Geschwindigkeiten geben? Eine Gruppe von Ländern, die schneller in die falsche Richtung voran schreiten und eine andere, die ihnen dorthin verspätet nachfolgt?   Es könnte doch auch ein Europa der vielen verschiedenen Geschwindigkeiten angestrebt werden, die nicht gleichgerichtet sind, aber gleich groß sein können. Statt eines Europas mit einem Kern, das es bereits gibt, könnte es ein Europa mit vielen „Kernen“ geben, mit „ökosozialen“ Kernen. Bevölkerungen könnten frei gemacht werden, in der von ihnen gewünschten, etwa ökologisch, sozialen Richtung weiter zu schreiten, als das übrige Europa und unabhängig von diesem Europa. Weil ein ökosozialer Vorsprung sichtbar Vorteile bringt, würde er nachgeahmt und schließlich die ganze EU erfassen. Auf demokratische Weise entstünde ein einheitliches, ökosoziales Europa.

Jedenfalls kann die Bevölkerung eines EU-Mitgliedslandes seine Zukunft nur mit der Freiheit zur Bildung selbst gewünschter Kerne selbst gestalten. Wenn es beispielsweise seine Energie teurer machen will, um seine Arbeit gleichzeitig verbilligen zu können, dann muss davon auch die „Graue Energie“ der Importe erfasst werden. Sonst würden   die billig gebliebenen energieintensiven Importe die heimischen verdrängen, zum Schaden der heimischen Wirtschaft. Es braucht die Freiheit zu höheren Umwelt- Sozial-, Bildungs-, oder Gesundheitsstandards, als im EU-Durchschnitt, die nicht von außen unterlaufen werden können. Ein Vertrag mit der Freiheit zu solchen Kernbildungen könnte sehr viel mehr Bevölkerungen überzeugen.

Aber auch die Mitgliedschaft zu einem EU-Vertrag (ob von Nizza oder von Lissabon) kann nur dann demokratisch sein, wenn sie direkt demokratisch zustande gekommen ist und widerrufbar ist. Die Übertragung der Souveränität vom Volk an Volksvertreter kann in einer Demokratie nur vorübergehend erfolgen und muss regelmäßigen Wahlen unterworfen und verworfen werden können. Allein dies motiviert ja Volksvertreter die Interessen ihres Volkes zu vertreten. Dementsprechend sollte   die Übertragung von Souveränitätsrechten an die EU nicht nur durch faire Referenden erfolgen, sondern auch jederzeit durch solche Referenden in den Mitgliedstaaten revidiert werden können. Dergestalt würde sich die EU bei ihren Entscheidungen eher um das Wohl ihrer Bevölkerungen kümmern. Es ist die Freiheit zur Bildung demokratisch gewünschter „Kerne“ und zu einer demokratischen, weil demokratisch zustande gekommenen und widerrufbaren EU-Mitgliedschaft, die „Subsidiarität“ garantieren würde: National bleiben würden die Politikbereiche, die national entschieden werden müssen und können, und international nur die anderen.  

Grundsätzlich sollten, w o immer Menschen leben in Volksabstimmungen nach sorgfältiger und chancengleicher öffentlicher Diskussion aller Vor- und Nachteile frei entscheiden können, welchem Staat sie angehören wollen oder einen eigenen Staat bilden wollen und auf welche Weise sie ihr Glück suchen wollen. Es gibt keine Zwangszugehörigkeit zu einem Staat, oder einem Vertrag von Staaten. Es gibt keine maßgebenden Kulturen! Die aufgezwungene Herrschaft der Einen über die Anderen, die Ausbeutung anderer Länder, ihrer Ressourcen und Bürger durch messianische Zwangsbeglückung etwa mit einem westlichen Lebensstil (nach Vorbild des „American Way of Life“) und seine vorgeblichen Vorzüge, wie Demokratie, Grundfreiheiten oder Menschenrechte, all das sollte enden. Es würde anderen Kulturen ihre Existenzangst nehmen und dem Frieden, der Freiheit und dem allgemeinen Glück dienen.  

Kontakt: Hans.Peter.Aubauer@Univie.AC.AT